Der Autor:

Prof. Dr. Hans-Jörg Schmidt-Trenz
Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg

Die europäische Integration ist ein hohes Gut, mit dem im politischen Diskurs nicht leichtfertig gespielt werden darf.

Nicht zuletzt wird der Brexit Auswirkungen auf das Gefüge der europäischen Finanzplätze haben.

UK Flag, Big Ben, London

Nach der Volksabstimmung in Großbritannien zum Ausstieg aus der Europäischen Union – dem sogenannten Brexit – steht Europa am Scheideweg. Hamburg, mit seinem starken Außenhandelsfokus und Finanzplatz mittendrin. Die Gewichtung des Außenhandelns und das Verhältnis der europäischen Finanzmärkte werden sich perspektivisch neu justieren.

 

Viele Beobachter der britischen Politik und auch große Teile der politischen Verantwortungsträger und der Bevölkerung hatten wohl nicht geglaubt, dass das mehrheitliche Votum der Bevölkerung für einen Ausstieg aus der EU ausfallen würde. Und auch nach dem Ja für einen Ausstieg, gab und gibt es eine Vielzahl von Interpretationen, welche Folgen dieses Votum impliziert. Nur so lassen sich die chaotisch anmutenden Verhältnisse in der britischen Regierung unmittelbar nach der Bekanntgabe der Ergebnisse, gipfelnd in dem von der späteren Ministerpräsidenten May bemühten tautologischen Mantra „Brexit means Brexit“, erklären.

Mittlerweile zeichnet sich der Zeithorizont des Ausstiegsprozesses aber immer deutlicher ab. Die britische Regierung hat angekündigt, den formellen Austrittsprozess, der in Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union geregelt ist, im März 2017 anzustoßen. Ab diesem Zeitpunkt haben die EU und Großbritannien 24 Monate Zeit, den Austritt und die künftigen Beziehungen zu regeln.

Für Deutschland, die EU, ihre Unternehmen und Bürger ist Klarheit über den Prozess des Ausstiegs wichtig, wenngleich diesbezüglicher Pragmatismus und allzu kühle Reaktion, wie aus Teilen der EU-Kommission geäußert, nicht überstrapaziert werden sollten. Denn die negativen Auswirkungen des britischen Ausstiegs sind mannigfach und schmerzhaft: Der Integrationsprozess der EU wird durch den Präzedenzfall des Ausstiegs empfindlich gestört, einer der wichtigsten Nettozahler verlässt die EU, die politische und wirtschaftliche Rolle Europas in der Welt wird geschwächt. Der EU und Deutschland muss es daher auch nach dem Brexit an wirtschaftlich und politisch geordneten Verhältnissen zu Großbritannien gelegen sein. Insofern ist ein ausgewogenes Übereinkommen anzustreben.

Sofern es in dieser Gemengelage überhaupt etwas positives zu berichten gibt, dann, dass der chaotisch vorbereitete und offenbar von vielen Briten längst bereute Ausstiegsprozess nicht so schnell Schule machen dürfte. Bislang positionieren sich nur wenige, meist politisch radikale Kräfte, wie der französische Front National, für einen Ausstieg nach britischem Vorbild. Dennoch ist auch hier Vorsicht geboten. Die europäische Integration ist ein hohes Gut, mit dem im politischen Diskurs nicht leichtfertig gespielt werden darf.

Brexit konkret – Mittelfristig starke Veränderungen für die Wirtschaft
Konkret bedeutet der Brexit zunächst einmal die Anpassung dutzender Verträge und Dokumente. Die dafür aufzuwendenden Kosten sind nicht unerheblich, dürften jedoch als einmalige, wenn auch langwierige Kosten verbucht werden.

Wirtschaftlich dürften die größten Kosten zunächst auf Großbritannien selbst zukommen. Der Zugang zum Binnenmarkt ist an die Gewährung von Freizügigkeit gebunden. Ein zentrales Ziel der Austrittsbefürworter war aber die Einschränkung der garantierten Freizügigkeit für Bürger der EU. Dementsprechend kann und wird es ein „Weiter so“ der Wirtschaftsbeziehungen, lediglich außerhalb der Europäischen Union, wohl kaum geben.

Auch aufgrund des immer noch offenen Verhandlungsergebnisses der Modalitäten der zukünftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit sind konkrete Prognosen darüber hinaus nur schwer zu treffen. Allerdings hat die massive Abwertung des Britischen Pfunds nach dem Brexit-Votum bereits einen Vorgeschmack auf die Kosten von Abschottung und Unsicherheit gegeben. Auch wenn sich die britische Wirtschaft in den ersten Monaten nach dem Referendum, angetrieben durch Konsumenten, private Investitionen und die Produktion sogar gut entwickelt hat, dürfte diese Entwicklungen nach Schätzungen briti- scher Analysten aber nicht andauern und sich mittelfristig die negativen Auswirkungen des Brexit-Votums bemerkbar machen. Insbesondere künftige Investitionsentscheidungen ausländischer Investoren in Großbritannien, zum Beispiel japanischer Autobauer, dürften häufiger in Frage gestellt werden. Ausgang: ungewiss.

Aber auch für Deutschland und die EU werden sich Veränderungen ergeben. Großbritannien ist bis dato der drittgrößte Abnehmer deutscher Importe und fünftwichtigster Handelspartner insgesamt. Insbesondere Hamburgs Wirtschaft unterhält enge Verbindungen zu Großbritannien: Rund 1000 Hamburger Unternehmen, davon rund 200 mit eigenen Vertretungen, Niederlassungen oder Produktionsstätten auf der Insel, unterhalten bisher mit dem Vereinigten König- reich, das für Hamburg sogar viertwichtigster Wirtschaftspartner weltweit ist, Geschäftsbe- ziehungen. Solange Großbritannien Mitglied der EU ist, dürfte sich daran nicht viel ändern. Ein spätestens 2019 vollzogener Brexit birgt in den Augen vieler Unternehmen aber die Gefahr von neuen Handelsbarrieren, mehr Bürokratie, längeren Wartezeiten und Kontrollen an den Grenzen und insgesamt höherer Kosten. Dies sind berechtigte Sorgen, denn auch wenn man von der Einsetzung von Übergangsfristen für die Wirtschaft ausgehen darf, sind zahllose Fragen über die künftige Besteuerung von Unternehmen, Waren und Dienstleistungen noch völlig offen. Und Unsicherheit ist das Letzte, was Investoren und Konsumenten mögen.

Neuordnung der europäischen Finanzplätze?
Nicht zuletzt wird der Brexit Auswirkungen auf das Gefüge der europäischen Finanzplätze haben. Die Stellung Londons als uneingeschränktes europäisches Finanzzentrum mit aktuell noch 700.000 Beschäftigen alleine im Bankensektor steht nun in Frage. Institutionen wie die Europäische Bankaufsichtsbehörde werden sich aus London zurückziehen. Auch private Banken prüfen ernsthaft die Verlagerung ihres Sitzes oder zumindest einzelner Geschäftsbereiche, um weiter am Geschäft im europäischen Binnenmarkt teilhaben zu können. Die russische Großbank VTB war im Oktober 2016 die erste, die diesen Schritt ausdrücklich mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union begründete. Auch britische Konzerne und Banken denken über den Aufbau von Tochterfirmen in der EU nach. Frankfurt, Paris und Dublin bringen sich und ihre spezifischen Standortvorteile dafür bereits in Stellung.

Ein Modell für Hamburg? Eher nein, denn Hamburg ist nicht London, Hamburg ist nicht Frankfurt – und will es auch gar nicht sein, wenn es um die Finanzwirtschaft geht. Mit Recht weist der Finanzplatz Hamburg daraufhin, dass die Hamburger Finanz- und Versicherungs- unternehmen Teil der Wirtschaft sind, und nicht um sich selbst kreisende Satelliten, sondern den Unternehmen vor Ort verpflichtet und eng mit ih- nen verbunden. Ein Ansatz, der weiter Gültigkeit besitzt. Im Kontext der zukünftigen internationalen Positionierung gilt es aber, die Stärken des Finanzstandorts Hamburg zu betonen, die gerade in der Vielfalt hochwertiger Spezialangebote, wie beispielsweise der Finanzierung des Außenhandels, der Erneuerbaren Energien oder von Sachwertinvestments, aber auch im Bereich Transportversicherung und Vermögensverwaltung liegen, um nur einige zu nennen. Auch kann Hamburg mittlerweile reklamieren, ein Hotspot für die Ansiedlung innovativer FinTech-Startups zu sein. Es können gerne noch mehr werden. Die traditionell engen partnerschaftlichen Verbindungen der Business Community von London und der Hamburger Kaufmannschaft dürften dabei hilfreich sein.

Der Text ist dem Jahrbuch 2016/17 des Finanzplatz Hamburg e.V. entnommen.

 

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