Der Autor:

RA Dr. Ludwig Gehrke,
Geschäftsführender Gesellschafter KSP Kanzlei Dr. Seegers, Dr. Frankenheim Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

 

Den Faktor Mensch kann kein Algorithmus ersetzen.

Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden das Inkasso verändern. Beide werden sich gegenseitig befruchten.

Sie gelten als die neuen Stars der Finanzbranche. Digital. Effizient. Smart. FinTechs mischen mit ihren innovativen Ansätzen die Finanzbranche kräftig auf. Nun stoßen sie zunehmend in die Forderungsbeitreibung vor.

 

Die Zahlen des deutschen Inkassomarkts klingen beeindruckend: Über 20 Millionen offene Forderungen, mehr als 300 Milliarden unbesicherte Außenstände, über 700 in Deutschland tätige Inkassofirmen sowie rund 150.000 Rechtsanwälte, die mehr als 5 Milliarden Euro pro Jahr wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückführen. Es ist verständlich, dass bei diesen Zahlen mit den FinTechs neue Anbieter auf den Markt strömen, die ein Stück vom
Kuchen abhaben wollen.

Doch können FinTechs zu ernsthaften Wettbewerbern der etablierten Anbieter im Forderungssegment werden? Oder sind es eher die etablierten Unternehmen, die neue Denkweisen adaptieren und an ihre Bedürfnisse anpassen?

FinTechs entern den deutschen Markt
Inkassodienstleister werden immer dann hinzugezogen, wenn unbezahlte Rechnungen nach dem kaufmännischen Mahnen doch noch bezahlt werden sollen. Dabei lassen sich die Unternehmen in zwei Gruppen unterteilen: spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien und gewerbliche Inkassobüros. Der größte Unterschied zwischen den beiden Anbietergruppen: Rechtsanwälte können im Gegensatz zu den gewerblichen Anbietern nicht nur das außergerichtliche Inkasso betreiben, sondern nach erfolgloser Beitreibung auch den Gerichtsweg beschreiten.

Die FinTechs stoßen den Inkassomarkt in das digitale Zeitalter. Zu tradiert, zu unflexibel und zu sehr verhaftet in alten Verhaltensweisen, so lauten die Vorwürfe an die Branche. Inkassobüros würden (immer) noch Briefe mit Überweisungsträgern verschicken. Und wer bitteschön liest heute noch Briefe? Sie und ich wohl kaum – und
die Schuldner erst recht nicht.

Stattdessen wollen FinTechs den deutschen Inkassomarkt mit einer neuen, smarten Multikanal-Kommunikation revolutionieren, die auf lernenden Algorithmen und Big Data basiert. Diese Algorithmen analysieren das Kundenverhalten. Darauf abgestimmt erhalten die Schuldner individuelle Ansprachen, etwa mit persönlichen
Zahlungsvorschlägen. Ganz automatisiert und ganz im Sinne der Behavorial Economics. Verstärkt fokussieren sich die Anbieter zunächst auf E-Commerce. Hier entsteht zumeist kein Bruch in der Kommunikation: Die Produkte werden
online bestellt, dementsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit, mit den säumigen Schuldnern in einen Onlinedialog zu kommen.

Doch was ist eigentlich die Aufgabe von Inkassodienstleistern? Sie wollen herausfinden, warum ein Schuldner die offene Forderung nicht begleichen kann oder will. Zahlt ein Schuldner seine Rechnung nicht, geht es im Hintergrund
fast immer um persönliche, sehr individuelle Problemlagen. Hierzu muss man mit den Schuldnern individuell kommunizieren, Vertrauen aufbauen und oftmals nur zuhören. Denn die meisten Schuldner wollen ihre Außenstände begleichen, befinden sich aber in einer finanziellen oder persönlichen Notsituation.

Individuelle Ansprache ist unverzichtbar
Man darf nicht vergessen, dass es um Kunden geht. Auch wenn sie aktuell zahlungssäumig sind, sollen sie nach Möglichkeit Kunden des betreffenden Unternehmens bleiben. Auch in diesem Stadium der Kundenbeziehung erwarten sie eine Behandlung auf Augenhöhe. Das Gleiche gilt natürlich auch für das Beschwerdemanagement:
Auf Einwendungen muss juristisch einwandfrei reagiert werden. Mit Standards kommt man hier nicht weit – und seien sie noch so intelligent gesteuert. Hier benötigt man Mitarbeiter, die mit den Produkten, den AGBs und den
juristischen Details vertraut sind.

Ein weiteres wichtiges Argument für den persönlichen Kontakt bilden die Erkenntnisse, die Dienstleister in den Gesprächen mit den Schuldnern gewinnen und die für die Gläubiger hochinteressant sein können. Dies gilt über den reinen Inkassoprozess hinaus auch für das operative Geschäft. Inkassodienstleister bemerken in der Praxis schnell, mit welchen Methoden beispielsweise der Vertrieb arbeitet.

Ein Beispiel aus der Verlagsbranche: Wenn Abonnenten den Eindruck gewonnen haben, dass ihnen ein Zeitschriftenabo aufgeschwatzt wurde, kann man das deutlich daran erkennen, dass die Abozahlungen vermehrt ausbleiben. Das lässt sich meist sogar lokal eingrenzen. Mit einer entsprechenden Rückmeldung an den Verlag können Dienstleister diesem helfen, Schwachpunkte im Vertrieb zu beheben.

Der Faktor Mensch
Die persönliche Ansprache eines Schuldners – der Faktor Mensch – ist nach wie vor unverzichtbar. So kann das jeweilige Problem des Schuldners mit ihm geklärt und Lösungswege erarbeitet werden. An dieser Grundvoraussetzung wird die Digitalisierung so schnell nichts ändern. Außerdem muss ein Rechtsanwalt hinzugezogen werden, sobald eine außergerichtliche Regelung nicht gelungen ist und ein Prozess angestrebt
wird. Dies kann weder ein gewerbliches Inkassobüro noch ein Algorithmus.

Aber genauso sicher ist, dass die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung das Inkasso verändern und weiterentwickeln werden. Beide werden sich gegenseitig befruchten. Spezialisten für Teilaspekte werden sich herausbilden, was der Bankensektor zeigt. Aber ebenso deutlich zeigt sich auch, dass es die eine Seite ohne die andere nicht schafft: FinTechs haben die Innovationen, die etablierten Inkassodienstleister das Know-how und die Kunden.

 

Der Text ist dem Jahrbuch 2016/17 des Finanzplatz Hamburg e.V. entnommen.

 

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